Band 5: Brautwerbung

Leseprobe: Kneipentour in Mandrilar

Mauro kehrte mit seinen Begleitern ins Schloss zurück. Doch schon bald erkannten sie, dass das keine gute Idee gewesen war. Die Rebellen hatten dort übel gewütet. Was nicht geplündert war, lag in Scherben.

Mauro stieg über die Scherben hinweg zu seinen Privaträumen in den ersten Stock. In seinem Kaminzimmer ließ er sich mit dem Rücken gegen die Wand fallen und versuchte, seine Empfindungen zu ordnen. Was für ein Tag! Er ließ nochmals alles in Gedanken an sich vorüberziehen, von den fröhlich feiernden Kethen und Almanen vor der Stadt durch die stinkenden, düsteren Straßen, vom Palasttor bis in die Arena. Noch einmal ging er jeden einzelnen Schritt, vergegenwärtigte sich die Gesichter seiner Feinde. Hatten sie tatsächlich angenommen, dass sie mit diesem schwachsinnigen Aufstand durchkommen würden? Hätte es für ihn eine andere Möglichkeit gegeben, als mit aller Härte gegen sie vorzugehen?

Mauro sah keine. Klarer und klarer wurde ihm, dass der Aufstand von Barren inszeniert worden war. Schritt für Schritt hatte er Mauro auf genau dem Weg entlang gelotst, auf dem er ihn haben wollte. Mit großem Geschick betrieb er die Neuauflage des Spiels Alicando gegen Mandrilar. Aber warum? War Barren nicht selbst Mandrilane? War ihm das Wohl seiner Stammesgenossen nicht wichtig? Bei jeder einzelnen seiner Intrigen hatten am Ende Mandrilanen die Zeche gezahlt, waren Menschen aus dem Kernland zu Schaden gekommen. Wahrscheinlich ging es gar nicht um die Macht in Mandrilar und schon gar nicht um die Interessen der Mandrilanen. Wahrscheinlich hatte Barren gar nicht vor, Mauro zu vernichten, sondern ihn Schritt für Schritt in die Dunkelheit zu treiben. Vieles von dem, was in den letzten Monden geschehen war, sprach dafür. Jeder Angriff, den er abwehrte, steigerte Mauros Zorn. Selbst wenn Mauro sich zur Milde gemahnte, setzte Barren eine neue Provokation, die ihn zum Dreinschlagen zwang. Mauro fühlte, wie sich mit jedem Verlust sein Herz verhärtete. Wie der verbissene Kampf gegen immer neue Widrigkeiten ihn zugleich stärker und mächtiger machte. Der Zorn, den er in sich entfesselt hatte, um sich Zugang zum Palast zu verschaffen, stellte alles bisherige in den Schatten. Die Stimme von Gal drang kaum mehr an sein Ohr. Bald würde Dúath die Regentschaft an sich reißen. Er sah den Weg in die Dunkelheit deutlich vor sich liegen. Bald schon würde er sein, was Barren ihn am Ende des Ithrynmaeth genannt hatte: Erain Maur, der schrecklichste Zauberkönig von allen.

Mauro verdrängte die trüben Gedanken. Er stieß sich von der Wand ab und ließ seinen Blick durch die Kammer schweifen. Hier war alles noch so, wie er es zurückgelassen hatte. Jedes einzelne Stück erinnerte ihn an seinen ersten Aufenthalt in der Hauptstadt. Damals war Morriell an seiner Seite gewesen – die Tochter, die mittlerweile zur Feindin geworden war. Deutlich fühlte er die Beklemmung in seiner Brust, die ihm schon damals den Atem genommen hatte. Mauro wanderte weiter ins Schlafzimmer und blickte auf das hohe, weiche Bett, in dem er keine einzige Nacht durchgeschlafen hatte. Da war nichts Einladendes an diesen edlen Decken und Kissen. Kein warmer, vertrauter Leib, an den er sich hätte schmiegen mögen. Nichts als Alpträume, Gespenster, würgender Druck.

Mauro wandte sich zu Eryndîr um und sagte entschlossen: „Hier bleib ich nicht.“

Eryndîr hatte eine Idee: „Vielleicht trinken wir noch irgendwo einen Becher Wein und hören, was die Leute so meinen…“ Er wusste, dass Mauro solche Ausflüge früher sehr genossen hatte.

Mauro war sofort begeistert: „Gute Idee. Hocken uns mitten zwischen diese netten, freundlichen Mandrilanen und hören uns an, wie sie über ihren König lästern. Das macht heute bestimmt viel Spaß.“

Ingram stöhnte: „Keiner von uns kennt sich hier in der Hauptstadt aus. Wie sollen wir da ein geeignetes Wirtshaus ausfindig machen? Es geht schließlich auch um Eure Sicherheit!“

„Ganz so ist es nicht“, ließ sich Hanok vernehmen, „Ich bin schließlich nicht zum ersten Mal hier. Nicht allzu weit vom Palast entfernt gibt es ein Wirtshaus, das sauber und groß genug für uns alle ist. Es wird überwiegend von militärischen Würdenträgern und Beamten aus dem Schloss aufgesucht, sodass wir dort bestimmt nicht auffallen.“ „Klingt gut. Lasst uns sofort aufbrechen“, drängte Mauro. „Ich brauche ein unauffälliges Wams. Kommt nicht mit einer Hundertschaft von Wachen, ich möchte unerkannt bleiben.“ „Das lasst meine Sorge sein“, entschied Eryndîr und traf seine Anordnungen.

Rüdiger sagte zu Jorid: „Es tut mir leid, junge Dame, doch in die Kneipe könnt Ihr uns nicht begleiten. Begebt Euch zur Ruhe, Ihr übernehmt dann die unangenehme zweite Wache.“ Jorid funkelte in böse an: „Wenn die ganze Truppe mitgeht, bin auch ich dabei. Dann werde ich eben für ein paar Stunden Männerkleidung tragen. Und natürlich übernehme ich danach die zweite Wache, ich bin doch kein schwächliches altes Weib!“

Mauro konnte schon wieder lächeln: „Natürlich kommt Ihr mit, Fräulein Jorid. Ihr bleibt dicht bei mir, dann wird Euch schon keiner begrapschen. Und nach Möglichkeit solltet Ihr nicht austreten müssen.“ Dann wandte er sich an Hanok: „Ihr müsst nicht mitgehen, Ihr habt Euch für heute wahrlich genug zugemutet…“ Hanok wehrte ab: „Solange ich die Augen offen halten kann, geht es mir besser.“

Mauro wusste, wovon er sprach und ließ ihn gewähren.

In der Kneipe nahm tatsächlich keiner Notiz von einer Gruppe gut gekleideter Herren, die aus dem Palast zu kommen schienen. Hier verkehrten öfters hochrangige Würdenträger, die sich nicht immer gut benahmen. So wunderte man sich nicht, dass Mauros Begleiter unsanft einen Tisch in der Nähe der Schank räumten, der gut zu überwachen war. Alle rückten an diesem Tisch zusammen. Die kethischen Wächter verteilten sich im Raume oder quetschten sich an die Nachbartische, von wo aus sie mehr oder weniger unauffällig ein wachsames Auge auf ihren König haben konnten.

Mauro wurde mit dem Rücken zur Wand platziert, zwischen Jorid und Eryndîr. Er schloss die Augen halb, nahm die Energie der Umgebung in sich auf und versuchte erst einmal, zu entspannen. Goswin bestellte für sie. Er ließ reichlich Wein, Brot, Speck und Käse auffahren. Mauro lernte zum ersten Male die berühmten Oliven kennen, die er nicht gleich auf Anhieb schätzte. Bald waren sie am Essen und Schwatzen.

„Das Fruchtbarkeitsritual war eindrucksvoll“, schwärmte Eryndîr. „Am Schluss meinte ich gar, das Große Mysterium der alten Völker, die sieben Ringe, über Euren Köpfen prangen zu sehen!“

„Dann habt Ihr richtig gesehen“, meinte Goswin trocken.

„So ist es also wahr, was man sagt?“ fragte Narghey vorsichtig, „Dass die sieben Ringe der Mondgöttin wieder komplett sind?“

„Die sieben Ringe der Mondgöttin sind wieder komplett. Der mächtige siebte Ring wurde neu geschmiedet, letztes Jahr in Ostgilgart“, bestätigte Mauro.

„Welch große Zeit, in der wir leben!“ staunte Narghey.

Allmählich wandten sie sich wieder alltäglicheren Themen zu. Mauro nahm von dem Wein und wurde bald heiter und gesprächig. Noch immer beherrschte er die Landessprache nicht fließend, doch es reichte zum Geschichten erzählen. Mit seinem schweren kethischen Akzent, der sommerländischen Intonation, der sparsamen Gestik und seiner unvergleichlichen Art, die Dinge auf den Punkt zu bringen, war er ein sehr unterhaltsamer Erzähler. Allmählich entspannte er sich und begann, den Abend zu genießen.

„Was ist mit Deiner Königin?“ wollte Hamon zu fortgeschrittener Stunde wissen. „Kam sie nicht mit ins Schloss?“

„Lass mich bloß in Ruhe. Yerion hat mir heute erklärt, dass es unter ihrer Würde ist, für mein Vergnügen zur Verfügung zu stehen.“

„Dann such Dir eine andere. Je mehr Frauen der König hat, desto besser. Sag, was Du begehrst, und schon liegt es Dir zu Füssen. Selbst meine eigene Tochter biete ich Dir an, nach allem, was Du für mich und mein Volk getan hast.“

„Quatsch keinen Unsinn, Hamon. Deine Tochter ist meines Wissens kaum zwölf.“

„Ja, sie ist ein bisschen jung. Leider hab ich keine älteren Kinder. Doch wenn Du sie willst... oder eine andere Wüstenstromländerin – wir haben bildschöne Frauen. Sieh Dich bloß einmal um! Ich hab da eine im Auge...“

„Ich könnte Euch eine Halbelfe zuführen, wenn Ihr etwas wirklich hübsches wollt“ bot Eryndîr schelmisch an. „So etwas wie Thorns Königin Innath. Wäre das nichts für Euch?“ „Bleib mir bloß vom Leibe!“ Mauro konnte Innath nicht ausstehen.

„Meine Tochter Kayla ist immer noch zu haben“, erinnerte Goswin mit einem Augenzwinkern.

„Unser Bodir hat gleich mehrere schöne Schwestern“, bereicherte Uluk von Xalmeida die Diskussion. „Fürst Baaluk wäre hocherfreut.“

„Lasst es gut sein. Manche Frauen sind einfach nicht austauschbar“, seufzte Eryndîr ernst. „Der König trauert seinem Almanenmädel nach. Eine andere reizt ihn nicht.“

„Das sollte keiner besser verstehen als Ihr, Eryndîr“, rügte ihn Mauro. „Habt Ihr Euch etwa nicht für die Frau Eurer Wahl ins Unglück gestürzt?“

„Nun, so unglücklich bin ich nicht“, korrigierte Eryndîr. „Ich würde es sofort wieder tun.“

„Das habe ich befürchtet.“

„Wie kam es dazu, dass sie Euch die Braut rauben konnten?“ wollte Goswin wissen. „Und weshalb wollt Ihr gleich morgen nach Norden weiterreiten?“

Mauro erzählte in knappen Worten, was sich zugetragen hatte und weshalb die Zeit drängte.

„Prinzessin Sigrun ist nach Brig versprochen und damit für Euch unerreichbar“, konstatierte Eryndîr mitfühlend. „Wie habt Ihr sie eigentlich kennen gelernt?“

Und Mauro erzählte. Von ihrer ersten Begegnung zu Pferde über das große Abschiedsfest in Moringart bis zu dem Punkt, wo er Yvo mit der Brautwerbung losgeschickt hatte. Er merkte gar nicht, dass die Wirtin und ihre Tochter, die hinter der Theke hingebungsvoll Becher wischten, mit heißen Ohren zuhörten. Als er zu der Stelle kam, wo er Sigrun für immer verloren hatte, wischte sich die Wirtin verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel.

Allmählich brannten die Fackeln herab und die kleine Gesellschaft machte sich auf den Rückweg zum Schloss. Nun hatte auch Mauro die nötige Bettschwere. Sein Lager im Kaminzimmer war inzwischen bereitet. Er ließ sich zwischen seinen Ithryn nieder und schlief bald tief und fest.

Natürlich wusste jedermann in der Kneipe, wer die Besucher an dem Tisch vorne an der Theke waren. Mauro war längst nicht mehr so unbekannt, wie er dachte. Mehrere Gäste hatten an den Feierlichkeiten teilgenommen und erinnerten sich an die Gesichter. Als die hohen Gäste gegangen waren und ihre Wächter hinter ihnen unauffällig das Lokal verließen, rotteten sich die verbleibenden Gäste rund um die Wirtin zusammen und wollten wissen, worüber an diesem Tisch gesprochen worden war. Und die Wirtin hatte etwas zu erzählen, was die Herzen der ganzen Stadt rühren sollte: die unglückliche Liebesgeschichte von König Mauro und Sigrun, der geraubten almanischen Braut.



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